Hans-Georg
Bensch
Zum "Automatischen
Subjekt"
Substanz und Subjekt sind
Begriffe, die Marx zu Beginn des 4. Kapitels Kapital Band I weder zufällig, noch
metaphorisch und auch nicht ironisch nennt. Marx spricht auf derselben Seite
(MEW 23/169) von einem "automatischen Subjekt" und von der "sich selbst
bewegenden Substanz". Mit den Begriffen Substanz und Subjekt ist auf die
gesamte philosophische Tradition angespielt, die ihren exponiertesten und wohl
auch reflektiertesten Vertreter in Hegel hat. Und Hegel schreibt bekanntlich in
der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes: daß "das Wahre nicht [nur] als
Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken"[1]
sei. Was für Hegel das Wahre ist,
ist mit Marx und mit Adorno das in Wahrheit Falsche. Wie aber kommt Marx hier
zu Substanz und Subjekt?
Aus der Unterstellung am
Anfang des ersten Kapitels "mannigfache Tauschwerte hat also der Weizen" (MEW
23/51) wird ein Gemeinsames erschlossen. Dieses Gemeinsame setzt schon einen
Begriff des Äquivalententauschs voraus. Äquivalententausch heißt: 1. Der
Besitzwechsel ist weder "wechselseitiges Schenken" noch Betrug und 2. Wenn die
materielle Reproduktion über den Tausch / Markt vermittelt ist, bedeutet das,
daß sich die (Rechts-) Personen a) sich als einander fremde Eigentümer
anerkennen und b) arbeitsteilig produzieren. Dieses erschlossene Gemeinsame
soll existieren, soll von einer Qualität und soll zugleich quantifizierbar sein
(MEW 23/51). So die programmatischen Forderungen, die im gesamten Werk
eingeholt werden müssen. Das "Abstraktionsprodukt" - des Theoretikers! -
"Wert", so wird das Gemeinsame eine Seite später genannt (MEW 23/52), muß die
genannten Forderungen erfüllen, wenn es einen wissenschaftlichen Begriff dieser
Produktionsweise geben können soll. Ob dieser gedachte "Wert", dieser Begriff,
der zunächst nichts anderes ist als ein Ordnungsbegriff, eine regulative Idee,
auch tatsächlich der richtige ist und damit nicht nur subjektiver
Ordnungsbegriff ist, sondern konstitutiv für diesen Gegenstand - die
spezifische Form dieser gesellschaftlichen Produktionsweise - ist; also der
Ordnungsbegriff ist, der die Sache trifft, hat die weitere Entwicklung des
Begriffs zu zeigen. Im Fortgang - der ohne historische Zitate nicht auskommt[2]
- zeigt sich, daß die erste Unterstellung, der Tausch von Äquivalenten, erst
dann realisiert ist, wenn der Begriff der Mehrwertproduktion unterstellt wird.[3]
Die Reproduktion ist erst dann nicht nur für einzelne sondern allgemein (-
gesellschaftlich) über den Austausch vermittelt, wenn tendenziell jeder
Arbeitsprozeß zum Mittel des Verwertungsprozesses geworden ist. Nur wenn
tendenziell jeder Arbeitsprozeß zum Mittel des Verwertungsprozesses geworden
ist, wechseln nicht bloß zufällige Überschüsse den Besitzer. Denn beim
Besitzwechsel zufälliger Überschüsse kommt es nicht auf den Tausch von
Äquivalenten an, weil die Reproduktion der Einzelnen davon nicht abhängt.
Vielmehr kann der Besitzwechsel von zufälligen Überschüssen als
"wechselseitiges Schenken" bezeichnet werden. Mittel des Verwertungsprozesses
ist der Arbeitsprozeß dann, wenn die Ware Arbeitskraft mit ihrer doppelten
Wertbestimmung - 1. Wert der Ware Arbeitskraft als durch die
Reproduktionskosten der Arbeitskraft bestimmt und 2. Wert, den die Arbeitskraft
während ihrer Verausgabung schafft -(allgemein) da ist, i.S. von existiert, nur
dann ist allgemein die Reproduktion über den Markt vermittelt. Nur dann ist
"Wert" nicht allein ein Ordnungsbegriff des Theoretikers, sondern vermittelt
tatsächlich die gesellschaftliche Reproduktion. D. h. wirklich ist
Äquivalentausch dann, wenn das
Resultat äquivalent und nicht-äquivalent ist (W-G-W und G-W-G').[4]
Damit ist das eigentümliche
Resultat: Wert ist als gesellschaftlich geltend nur unter der Voraussetzung von
Mehrwert.
Aber unter welchen
Voraussetzungen ist Mehrwert? Mehrwert, der zugleich dem Äquivalententausch
nicht widerspricht! Die entscheidende Bedingung für die Möglichkeit von
Mehrwert ist, daß der Arbeitstag derer, die zu arbeiten haben, länger ist als
die Zeit, die sie zur Produktion ihrer Reproduktionsmittel benötigen, also
Mehrarbeit leisten können! Aber diese Bedingung ist nicht kapitalspezifisch.
Marx ganz knapp: "Das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden." (MEW 23, 249)
In allen Gesellschaften / Gemeinwesen - die alle herrschaftlich organisiert
waren - haben die Menschen, die zu arbeiten gezwungen waren, mehr gearbeitet
als zur eigenen Reproduktion nötig und haben damit ein Mehrprodukt geschaffen.
D.h. zurückbezogen auf
Kapitalbestimmungen: jeder Mehrwert ist vergegenständlichte Mehrarbeit, also
Mehrprodukt, aber nicht jedes Mehrprodukt ist gleich Mehrwert; wenn es denn
eine spezifische Differenz zwischen vorkapitalistischer Produktion und
kapitalistischer geben soll. Es muß eine materiale Bestimmung des Mehrprodukts sein,
denn formal sind Mehrprodukt und Mehrwert dasselbe - Vergegenständlichung von
Mehrarbeit. Material ist der Unterschied nur über die Gebrauchswertseite des formal gleichen Mehrprodukts aller
bisherigen gesellschaftlichen Produktionen zu bestimmen. Das
(gesellschaftliche) Mehrprodukt ist erst dann gesellschaftlicher Mehrwert, wenn
das Mehrprodukt nicht der individuellen Konsumtion der Herrschenden dient
(Lebensmittel, Luxusmittel, Repräsentationsmittel) und dafür auch gar nicht
mehr brauchbar ist, sondern für die produktive Konsumtion, für das Kapital,
taugt. Resultat ist dann: Mehrwert ist erst dann gesellschaftlich geltend, wenn
das Mehrprodukt gegenständlich eine Gestalt hat, die zur weiteren
Mehrwertproduktion dient - Kapital (vgl. MEW, 23/589 ff). Mit dieser (formalen)
Reflexivität: Wert als gesellschaftlich geltend setzt Mehrwert voraus, Mehrwert
setzt den Begriff des Kapitals voraus und Kapital ist nichts anderes als
akkumulierter Mehrwert, hat das Kapital die Struktur einer Substanz, ist
Ursache ihrer selbst (causa sui, Spinoza); sein Resultat ist seine
Voraussetzung, es ist das Bleibende im Wechsel, es ist die "sich selbst
bewegende Substanz" (MEW 23 169).
Mit dieser Skizze ist
ausdrücklich den Lesarten widersprochen, die der Entfaltung des Begriffs in der
Folge der Kapitel im Kapital eine entsprechende historische Entwicklung unterstellen.
Noch mal: Wert ist nur unter der Voraussetzung von Mehrwert und analog:
Produktion des absoluten Mehrwerts ist unter der Voraussetzung der Produktion
des relativen Mehrwerts; oder: einfache Reproduktion ist nur unter der
Voraussetzung der erweiterten Reproduktion!
Subjekt ist bei Hegel[5]
das Tätige, das Übergreifende, das auf anderes übergreift. Das, was sich negativ
auf anderes bezieht und allein in der negativen Beziehung (dem negieren, dem
verformen, dem verzehren) sich erhält - das bloße Leben.[6]
Was aber ist das Andere bezogen auf das Kapital, auf den sich auf sich beziehenden
Wert, auf den sich verwertenden Wert? - Es ist Gebrauchswert!
Um den Zusammenhang von
Hegelscher und Marxscher Bestimmung von Subjekt zu erläutern, erinnere ich an
einen bestimmten Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie; einen
Wendepunkt, in dem Subjekt und Substanz neu begriffen worden sind. Es ist kein
Zufall, daß dieser Wendepunkt zeitlich mit der Entwicklung der kapitalistischen
Produktionsweise im 17. Jh. zusammenfällt.
Bei der Suche nach dem
sicheren Punkt, an dem alle Gewißheit des Wissens hängt, kommt Descartes
darauf, daß diese gesuchte Gewißheit zunächst nur in einem Punkt erreicht ist.
Nämlich: Wenn das Subjekt des Urteils und das urteilendes Subjekt dasselbe
sind. Das, von dem etwas ausgesagt wird - das alte subiectum, die Substanz -
und das, was das aussagende ist - das urteilende Subjekt, sind in dem Urteil
"Ich bin ein denkendes Ding"[7]
ein und dasselbe.
Zurück zu Marx! - oder vor
zu Marx; ich komme auf das urteilende Subjekt am Ende zurück, zunächst ganz
harmlos zum Subjekt im Urteil: Was ist grammatisch das Subjekt des ersten
Satzes des Kapitals? Wer oder was ist das, von dem im ersten Satz des Kapitals etwas ausgesagt wird?
"Der Reichtum der
Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint
als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine
Elementarform." (MEW 23/49) Es ist der Reichtum, von dem etwas ausgesagt
wird; d.h. aber auch: In Gesellschaften, in denen keine kapitalistische
Produktionsweise herrscht, wird nach dieser Auftaktbehauptung also der Reichtum
auch nicht
als ungeheure Warensammlung erscheinen und die einzelne Ware auch nicht als Elementarform des
Reichtums. Wenn es in vor- oder nicht-kapitalistischen Gesellschaften aber
Reichtum gibt, wird er also anders erscheinen. Allgemein läßt sich festhalten:
Der Gegenstand bei Marx im Kapital ist der Reichtum, etwas bestimmter: der
kapitalistische Reichtum. Dafür muß Identität und Unterschied zu dem Reichtum
anderer Formen von Gesellschaften genannt werden. In diesem Sinne heißt es
gleich auf der nächsten Seite: "Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt
des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei." (MEW 23,
S. 50) Uns - den Lesern des Kapitals - interessiert die
gesellschaftliche Form des Reichtums von Gesellschaften, in welchen
kapitalistische Produktionsweise herrscht.
Übrigens, eine
Zwischenbemerkung: Bezeichnenderweise beginnen Lehrbücher der Ökonomie mit der
Knappheit - wahrscheinlich weil damit der Frage nach der Herkunft des Reichtum
ausgewichen werden soll.
Wenn es vorkapitalistischen
Reichtum gab, und der eben nicht als ungeheure Warensammlung erscheint, wie
erscheint aber dann dieser vorkapitalistische Reichtum? In vorkapitalistischer
Zeit erscheint der Reichtum in der Herrschaft, in der Existenz der
Herrschenden, die leben, die gut leben und nicht arbeiten, d.h. vom Naturzwang,
für den Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, befreit sind bzw. sich auf Kosten
anderer davon befreit haben. Sie sind frei vom Naturzwang arbeiten zu müssen,
weil andere für sie arbeiten - ganz gleich ob diese Arbeitenden Sklaven,
Leibeigenen oder Fronbauern sind.
Wenn die Herrschaft gut
lebt, ohne zu arbeiten, müssen die, die in Knechtschaft leben, mehr arbeiten,
länger arbeiten als zur eigenen Reproduktion, als zur eigenen Erhaltung nötig.
Bis jetzt ist dies "mehr arbeiten, länger arbeiten" nur quantitativ
bestimmt! Diese Mehrarbeit der Beherrschten vergegenständlicht sich im
Mehrprodukt.
Ein Nachtrag noch: Der
Marxsche Anspruch ist, die Produktion von Reichtum zu erklären, ohne die
theoretische Prämisse des Äquivalententauschs zu verletzen. Das ideologische
Pendant zum Äquivalententausch, der als solcher das gemeinsame Dritte - den
Wert - als OBJEKTIV gegeben bestimmt, ist die bürgerlich-juristische -
Vorstellung des gerechten Tauschs, der nur die SUBJEKTIVE Einigung der
Vertragspartner voraussetzt - Angebot und Nachfrage. Ohne wiederum nach der
Grundlage zu fragen, auf der es überhaupt Angebot und Nachfrage gegen kann.
Wenn der Marxsche Anspruch ist, die Produktion von Reichtum zu erklären, ohne
die Prämisse des Äquivalententauschs zu verletzen, dann ist eine Kritik an der
herrschenden Produktionsweise, die mit Recht und Unrecht argumentiert haltlos:
Ungerechter Lohn wird gezahlt, es soll aber gerechter Lohn gezahlt werden, es
gibt eine ungerechte Verteilung, es soll aber eine gerechte Verteilung geben,
es herrscht unfairer Handel, es soll aber fair gehandelt werden etc. Haltlos
ist eine solche Kritik, weil sie bereits die Grundlage dieser Produktionsweise,
das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln akzeptiert, obwohl an dessen
vernünftiger Begründung noch alle gescheitert sind. Die Kritik hat den Zweck
der Produktionsweise zum Gegenstand. Vernunftbegabte Wesen können die Zwecke,
denen sie unter Bedingungen des Kapitals nachzukommen haben, nicht als die
ihren einsehen.
Zwischenergebnis:
Es hat sich ergeben:
- die Erscheinungsform des
kapitalistischen Reichtums, d.i. die "ungeheure Warensammlung" (MEW 23, S.
49),
- der stoffliche Inhalt des
Reichtums einer jeden Gesellschaft, d.i. Gebrauchswert (MEW 23, S. 50),
- der Höhegrad des Reichtums, d. i. das (relative) Mehrprodukt;
relativ zu dem Produkt, das Resultat der notwendigen Arbeit ist (vgl. MEW
23, S. 243).
In Kapital Band I ist es völlig
gleichgültig, welcher Art Waren kapitalistisch produziert werden; die Produktion
von absolutem Mehrwert und die Produktion von relativem Mehrwert kann Marx an
beliebigen Produktionen verdeutlichen, immer kann gezeigt werden, daß die
allgemeine Formel des Kapitals G-W-G' erfüllt ist, ohne daß der
Äquivalententausch verletzt ist. Diese Gleichgültigkeit ist bei der
Beantwortung der Frage, wie die erweiterte Reproduktion der Kapitale (Plural!)
- des gesellschaftlichen Gesamtkapitals - möglich ist, nicht mehr gegeben. Es
ist nicht mehr beliebig, welche Produktion zum Gegenstand der Analyse gemacht
wird.
Was heißt Reproduktion?
Zunächst ganz schlicht: das Verbrauchte muß ersetzt werden. Da kein einzelnes
Kapital seine eigenen materiellen Voraussetzungen produziert, ist jedes
Einzelkapital für seinen Stoffersatz, für seinen materialen Ersatz an
verbrauchten Produktionsmitteln, auf Produktionen anderer Einzelkapitale
angewiesen. Wie kann aber dann überhaupt erweiterte Reproduktion stattfinden?
Denn die Erweiterung der einen Produktion setzt die Erweiterung der Produktion
eines anderen Kapitals voraus! Und diese wieder die Erweiterung einer dritten
anderen usw. Für die Darstellung dieses Problems benutzt Marx im 2. Band des Kapitals in den sogenannten
Reproduktionsschemata (MEW 24, 394 ff.) einen Trick. Er ordnet alle einzelnen
Kapitale zwei Abteilungen zu. Abteilung I produziert Produktionsmittel und
Abteilung II produziert Lebensmittel. Mit dieser Zuordnung - die nicht einfach
auf die Empirie zu übertragen ist! - kann die Erweiterung der Produktion nur in
Abteilung I stattfinden, denn sie allein kann als Abteilung die für eine erweiterte
Produktion notwendigen zusätzlichen Produktionsmittel in sich selbst produzieren, während
die erweiterte Produktion in der Abteilung II - der von Lebensmitteln - auf
zusätzliche Produktionsmittel angewiesen ist, die nicht in ihr (Abteilung II) produziert
werden. Mit dieser Abteilung I hat Marx sich ein "Gesamt"-Kapital konstruiert,
das sich aus sich vergrößern können soll. Dieses Gesamtkapital soll sich selbst
seine vermehrt benötigten Produktionsmittel produzieren können. Einholen kann
man diese systematisch notwendige Unterstellung nur mit den Begriffen des
Kredits, der Grundrente und einem Begriff von Wissenschaft und Technik.[8]
Die systematisch erzwungene Steigerung der Produktion von Produktionsmittel[9]
und die von Wissenschaft und Technik zu liefernde Steigerung ist das
Unterscheidungskriterium[10]
der kapitalistischen Reproduktion von allen herrschaftlich strukturierten
vorkap. Gemeinwesen.
Die Bestimmung der
Reproduktion als der Wiederherstellung des Verbrauchten gilt genauso für eine
kapitalistische Gesellschaft insgesamt wie für ein vorkapitalistisches
Gemeinwesen. Es ist sogar einfach festzustellen, in welchen Proportionen was
produziert werden muß, damit sich eine Gesellschaft oder ein Gemeinwesen mindestens
einfach reproduzieren kann. In der Produktion von Produktionsmitteln (Abt. I)
muß mindestens so viel produziert werden, wie in der Produktion von
Produktionsmitteln und in der Produktion von Lebensmitteln (Abt. II) an
Produktionsmitteln verbraucht wird. In der Lebensmittelproduktion muß
mindestens soviel produziert werden, wie die Arbeiter beider Abteilungen zum
Lebensunterhalt brauchen.
Gibt es aber keine Mittel zur systematischen Steigerung der Produktivkraft der Arbeit ist der Zweck des herrschaftlich strukturierten Gemeinwesens nur: Herren sollen bleiben, Knechte sollen bleiben und damit soll das Herrschaftsverhältnis bleiben - einfache Reproduktion! Andrerseits ist aber schon erwähnt worden, daß wenn eine Herrschaft existiert, wird Mehrprodukt produziert. Wird aber Mehrprodukt produziert, ist es schon nicht mehr bloß einfache Reproduktion! Und doch hat das Mehrprodukt nur die Gestalt individuell luxuriös konsumiert zu werden.
Also kann auch gesagt
werden: Die einfache Reproduktion eines auf persönlicher Herrschaft basierenden
Gemeinwesens setzt zwar schon die erweiterte Reproduktion voraus. Hat dieses
"Mehr" an Produktion aber keine produktiv konsumierbare Gestalt, schlägt es
sich "nur" in mehr Luxus für die Herrschenden nieder.
Für das Kapital ist an die
schlichte Bestimmung, daß Kapital sich nur erhalten kann, wenn es sich
vermehrt, zu erinnern. Das ist nur ein anderer Ausdruck für die allgemeinen
Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint:
G-W-G' (vgl. MEW 23, 170).
Erweiterung der Reproduktion
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals kann nur gelingen, wenn
gesamtgesellschaftlich immer mehr Arbeit in die Produktion von
Produktionsmitteln gesteckt wird, während die gesamtgesellschaftliche Arbeit,
die für die Herstellung der Lebensmitteln derer, die arbeiten (in Abteilung I
und II) gebraucht wird, sinkt. Das heißt, es wird immer mehr dafür gearbeitet,
daß für die Lebensmittelproduktion immer weniger gearbeitet werden muß, ohne
daß gesamtgesellschaftlich weniger gearbeitet würde. Das ist eine scheinbar
absurde Konsequenz, absurd aber nur dann, wenn ein Maßstab angelegt wird,
welcher der kapitalistischen Produktionsweise völlig fremd ist. Denn es ist
nicht Zweck der kapitalistischen Produktion, Produktionsmittel als Mittel für
die Lebensmittelproduktion herzustellen.[11]
Zweck der Produktion ist nicht die Erhaltung der Menschen,. Sondern Zweck der
Produktion ist die Erhaltung des Kapitals, das, wie gesagt, sich nur erhalten
kann, wenn es sich vermehrt. Vermehren kann es sich nur, wenn die Proportion
von Produktionsmittelindustrie (Abteilung I) und Lebensmittelindustrie
(Abteilung II) sich immer weiter zugunsten der Produktionsmittelindustrie
(Abteilung I) verändert. Schlicht: Produktion um der Produktion willen - und
nicht um der individuellen Konsumtion willen. Das heißt, Zweck der Gesellschaften, in denen
kapitalistische Produktionsweise herrscht, ist die Produktion von akkumulierbarem Mehrwert. Akkumulierbarer Mehrwert, ist die Gestalt
von vergegenständlichter Mehrarbeit, die allein produktiv konsumiert werden
kann: immer neuere, immer verbesserte Produktionsmittel, die immer produktiver
die Natur bearbeiten und damit Reichtum sind, um weiteren Reichtum zu erzeugen,
von dem aber niemand etwas hat, weil er auch gar keine individuelle Konsumtion
mehr zuläßt. Niemand kann die neueste Generation einer Fertigungsstraße für
Halbleiter individuell konsumieren!
Fiel der Zweck der
Produktion in vorkapitalistischer Zeit, also unter persönlichen
Herrschaftsverhältnissen, zu dem die Mehrarbeit Mittel war, noch in die Gattung
(in die Spezies Mensch) selbst. - [Die vielleicht zufällig gestiegene
Produktion von Produktionsmitteln konnte Arbeitskräfte und Arbeitsmittel
freisetzen, um das Leben der Herrschenden noch luxuriöser gestalten], so ist
der Zweck unter entfaltet kapitalistischen Bedingungen den Menschen äußerlicher
Selbstzweck. Das Kapital erzwingt Mehrarbeit, um Mehrarbeit zu erzwingen, weil
es nichts ist als angeeignete Mehrarbeit. Es ist realisierte Freiheit in
verkehrter Gestalt.
Mit der Bestimmung des
akkumulierbaren Mehrwerts kann nun der erste Satz des Kapitals (MEW 23, 49) erläutert
werden - Das "erscheint als ungeheure Warensammlung" hatte noch die
Seite des Augenscheins (prall gefüllte Schaufenster), während die Ware, die einzeln
die Elementarform des erscheinenden Reichtums ist, nun genauer als technisch
immer neueres, besseres, produktiveres Produktionsmittel gefaßt werden kann.
Technisch immer neuer Produktionsmittel sind auch Gebrauchswerte, - in
Erinnerung an das Zitat: "Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des
Reichtums einer jeden Gesellschaft" (MEW 23, 50). Aber Gebrauchswerte zu
welchem Zweck, zu welcher Art von Konsumtion? Produktionsmittel sind
Gebrauchtwerte für die produktive Konsumtion, und unter dem Kapital ist die
produktive Konsumtion Mittel für die Verwertung des Werts. Im Jargon heißt das:
Sich selbsttragende Investitionskonjunktur, zukunftsträchtige Innovationen,
neue Technologien. Diese - die
Wahrheit schon unverblümt ausdrückenden -
Phrasen bilden die Grundlage für das Vorurteil, das Liberale mit
Gewerkschaftern teilen: Wenn die Wirtschaft brummt, ginge es den Leuten gut.
Als wenn das "Gutgehen" der Leute Zweck der Veranstaltung wäre! Es ist einfach
naiv zu glauben, daß die weltweit immer produktiver und intensiver geleistete
Arbeit samt ihrer erzwungenen Mehrarbeit dafür da sei, diese lächerlichen
Fußgängerzonen und Einkaufszentren zu bestücken!
Dann erst ist deutlich, wie
das Subjekt des ersten Satzes des Kapitals - diese bestimmte Gestalt von Reichtum
zum urteilenden Subjekt, zum bestimmenden Subjekt geworden ist. Wie diese
bestimmte Gestalt von Reichtum die Reproduktion der Gesellschaft und damit die
der Menschen bestimmt; bestimmt - in ihren Handlungen und auch in ihren
Vorstellungen. Am Anfang könnte man ja ganz trivial sagen: Wer ist das
urteilende Subjekt? Es ist der Theoretiker, es ist Marx, der dieses Urteil
gefällt hat. Nun hat sich aber über die Analyse dieses Subjekt des ersten
Satzes gezeigt, daß es selbst eben auch ein bestimmendes ist; daß das Subjekt
des Urteils auch urteilendes / bestimmendes Subjekt ist; - eben ein
"automatisches Subjekt" ist, das sich erhält, wenn es sich vergrößert und als
Selbstzweck sich alles unterordnet.
Der aller größte Teil der
moderne Philosophie oder Theorie scheitert aber an der Bestimmung von Substanz
und Subjekt - ob in ideologischer Absicht oder in vollständig naiver
wissenschaftlicher Unschuld - und wiederholt nur die theoretischen Probleme vor dem deutschen Idealismus
und damit auch vor Marx!
Auch kommunistische,
marxistische und linke Theoretiker sind davon nicht frei. Wenn man keinen
Begriff des Begriffs hat, wenn man keinen Subjektbegriff hat, muß man notwendig
daran scheitern, was denn "Wert" ist. Ist Wert ein Begriff? Ist Wert nur ein Begriff also nur etwas Ausgedachtes? So
gefragt, verkommen dann "automatisches Subjekt" und "sich selbst bewegende
Substanz" zur bloßen Metaphorik. Wenn Wert "nur" ein Begriff ist, müßte der
dann nicht empirisch belegt werden? Oder ist es ein Begriff, der nur in seinem
theoretischen und historischen Kontext verstanden werden kann? Heute dagegen
seien aber die Methoden der Theoriebildung ganz andere und viel weiter! Hier
die Theorie - da die ganz andere Wirklichkeit! Mit dieser Dichotomie werden nur
die theoretischen Probleme wiedergekäut, die von Kant, Fichte, Schelling und
Hegel ausdrücklich bearbeitet wurden, ohne daß das heute beachtet wird.
Ernsthafte Hegel-Forschung wird in der Gummizelle des Elfenbeinturms
sicherheitsverwahrt und mit dem Etikett "Philosophiehistorie" ruhig gestellt.
Während die Disziplin, die sich Ökonomie nennt, in ihren
wissenschaftstheoretischen Prämissen unsäglich unreflektiert Popper huldigt.
Es gibt eben auch eine
ideologische Funktion der Skepsis, die nur das eine Ziel hat "wissenschaftliche
Kritik" - so der Ausdruck von Marx (MEW 23, S. 17) - zu destruieren und sei es
um die Preisgabe eines Begriffs von Wissenschaft!
[1] G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, GS 9, hg. v. W. Bonsiepen u. R. Heede,
Hamburg 1980, S. 18.
[2] Vgl. z.B. das 2. Kap. oder auch Bestimmungen
des 3. Kap. in: Kapital
I. F. Kuhne hat detailliert nachgewiesen, warum es für die Darstellung des
Begriffs des Kapitals zwingend notwendig ist auf Historisches zurückzugreifen.
F. Kuhne, Begriff und Zitat,
Lüneburg 1995.
[3] Selbst wenn spätestens mit der Bildung der
Durchschnittsprofitrate (MEW 25) der Äquivalententausch modifiziert werden muß
und sich zeigt, daß der Besitzwechsel über Preise funktioniert, bleibt der Wert
immer noch konstitutiv. Denn ohne den Wertbegriff gibt es keinen Preisbegriff.
Aber auch die Durchschnittsprofitrate ist nicht mit "empirischen" Profitraten
zu verwechseln. Sie garantiert einzig die Möglichkeit, daß unterschiedlich
zusammengesetzte industrielle Kapitale unter Bedingungen der Konkurrenz
arbeitsteilig nebeneinander bestehen können. Vgl. Bensch, Vom Reichtum der
Gesellschaften. Lüneburg 1995. Die weitere Konkretion des Begriffs gelingt über
die Begriffe Warenhandlungskapital, Bankkapital und Grundrente und macht
zwingend die Rückrechnung von empirischen Preisen auf Werte unmöglich. Wer
dagegen glaubt damit ein Argument gegen die Marxsche Theorie zu haben, hat
nicht begriffen, was es heißt, daß der Begriff des Werts als regulative Idee
konsitutive Bedeutung hat. Ein Begriff der Totalität ist kein Begriff eines
Gegenstandes möglicher Erfahrung und muß dennoch richtig sein können.
[4] Vgl. 3. Kap. MEW 23.
[5] "Die lebendige Substanz ist ferner das Seyn,
welches in Wahrheit Subject, oder was
dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung
des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich
selbst ist. Sie ist als Subject die reine einfache
Negativität, ebendadurch die Entzweyung des Einfachen, oder die
entgegengesetzte Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen
Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist; nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder
Reflexion im Andersseyn in sich selbst - nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche, ist das Wahre. Es ist das Werden seiner
selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange
hat, und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist." G.W.F. Hegel, Phänomenologie
des Geistes, GS 9, hg. v. W.
Bonsiepen u. R. Heede, Hamburg 1980, S. 18.
[6] Schon mit dem "Fetischkapitel" (MEW 23, 85
ff.) kann eine warenproduzierende Gesellschaft kritisiert werden. Denn kein
Warenproduzent - gleichgültig ob unter Warenproduzent der selbständige
Handwerker oder das Industrieunternehmen, ein Unterschied der erst später
entwickelt wird, verstanden wird - verfügt über die Mittel seiner Reproduktion.
Es ist zufällig, ob er sich über den Verkauf seiner Produkte erhalten kann.
Damit ist die Reproduktion genauso sicher oder unsicher wie im Tierreich -
bloßes Leben. Im bloßen Leben geht die Art nicht unter, selbst wenn einzelne
Exemplare auf der Strecke bleiben.
[7] R. Descartes, Meditationen, übers. u. eingel. v. A. Buchenau, Hamburg
1972, S. 27.
[8] Vgl. H.-G. Bensch, Zum Begriff der
wissenschaftlichen Arbeit, in: Beiträge zur Marx-Engel-Forschung Neue Folge
2001, Hamburg 2002, S. 151 ff und ders. Reichtum
der Gesellschaften, Lüneburg
1995.
[9] Vgl. P. Bulthaup, Von der Freiheit im
ökonomischen Verstand, in: Das Automatische Subjekt bei Marx, hg. v. H.-G. Bensch u. F. Kuhne u.a.,
Lüneburg 1998, S. 25 ff.
[10] Die von Marx genannte und nach wie vor richtige spezifische Differenz der kapitalistischen Produktionsweise von allen anderen - das allgemeine Vorhandensein der Ware Arbeitskraft - kann es nur geben, wenn die systematisch erzwungen Steigerung der Produktivkraft der Arbeit auf einen gewissen Stand der Entwicklung von Wissenschaft und Technik trifft. Vgl. MEW 23, S. 184.
[11] Zweck des Kapitals ist auch nicht Herstellung der Luxusmittel für die Superreichen. Gemessen an der weltweit geleisteten Arbeit (incl. Mehrarbeit) ist die Arbeit für die Produktion dieser Luxusmittel weniger als peanuts.